Zukunft

Der lange Weg zum Erfolg

4 min Uwe Rempe

Wie sich neurodegenerative Krankheiten erkennen lassen. Und warum Durchhaltevermögen eine große Tugend für Wissenschaftler ist

Was hat ein Biophysiker mit der Früherkennung von neurodegenerativen Krankheiten wie ALS, Parkinson oder Alzheimer zu tun? Wie ist das Interesse an diesem medizinischen Fachgebiet entstanden? Und warum hat sich Prof. Dr. Klaus Gerwert aus Bochum so stark auf dieses Thema eingelassen?

Fokus Zellwachstum bei Krebs

Der Ausgangspunkt seiner Arbeit war ein anderes Thema: „Ich habe in Bochum an der Ruhr-Universität schon in jungen Jahren einen Lehrstuhl für Biophysik erhalten“, berichtet Gerwert, „und einen Sonderforschungsbereich gründen können, um das Ras-Protein, ein Schalter für das Zellwachstum beim Krebs, zu untersuchen“. Über erste Kontakte zu Klinikern entwickelte man gemeinsam „zeitaufgelöste infrarottechnische Methoden“, um den Proteinen bei ihrem Tun live zuschauen zu können. „Auf diese Weise haben wir Einblicke in Krankheitsverläufe erhalten, konnten faktengestützte Analysen durchführen“, so Gerwert.

So entwickelte sich die Proteindiagnostik zum Hauptforschungsziel des RUB-Professors. Und 2014 konnte Gerwert den ersten großen Meilenstein verzeichnen: Für den Komplex „PRODI“ (Proteindiagnostik), einen kompetitiv-eingeworbenen Forschungsbau nach Art. 91b, Absatz 1, Satz 1, GG, warb der Forscher 48 Millionen Euro ein. Ein Sonderfall, denn der Bund investierte diese gewaltige Summe, obwohl für Forschung eigentlich die Bundesländer zuständig sind.

Die Grundidee für die Hinwendung zur Proteindiagnostik: „Wir können uns mit diesen sehr feinen Methoden anschauen, wie Krankheiten anhand der Proteinveränderungen entstehen, ob das nun Krebs oder die neurodegenerativen Erkrankungen betrifft“, so Klaus Gerwert. Es stehe in beiden Fällen immer die mit einer Erkrankung einhergehende Veränderung eines Proteins im Mittelpunkt.

Grundlagenforschung und Unternehmensgründung

Hinter dieser Arbeit stecke sehr viel Grundlagenforschung. „PRODI“ sei insofern auch ein Inkubator, aus „PRODI“ heraus wurde 2020 das Unternehmen betaSENSE, gemeinsam mit einem Investor, als erstes Spin-Off mit etwa derzeit 28 Mitarbeitern ausgegründet. Und eben auch die erwähnten Biomarkertests entwickelt.

Frühes Warnsignal: Proteine verändern sich

„Bei den neurodegenerativen Erkrankungen entstehen schon viele Jahre vor der akuten Phase der Krankheit Fehlfaltungen der Proteine. Diese erlauben es uns, Biomarker im Blut oder anderen Körperflüssigkeiten zu identifizieren – viele Jahre bevor sich die gefürchteten Plaques bilden, die das Gehirn dann zunehmend lahmlegen“, so Gerwert.

Erkennen lassen sich die Plaques am besten mit sogenannten PET-Scans. Die Positronen-Emissions-Tomographie ist ein bildgebendes, nuklearmedizinisches Diagnoseverfahren, das Schnittbilder von lebendem Gewebe liefert, weil es die Verteilung einer schwach radioaktiv markierten Substanz sichtbar macht.

Entscheidend sei, vor diesem irreversiblen Stadium einzugreifen bevor sich Plaques bilden. „Wir sind sehr optimistisch, dass sich Alzheimer stoppen lässt, wenn man rechtzeitig eingreift“, so der Professor.  „Es gibt drei Medikamente, die in den USA zugelassen sind und alle drei sind in der Lage, Plaques aufzulösen. Der Einsatz dieser Medikamente, so die bisherigen Erkenntnisse, verlangsamen eine Verschlechterung des individuellen Zustands um etwa 40 Prozent. Greife man noch früher ein, habe man die Chance, die Erkrankung zwar nicht zu heilen, aber wenigstens zu stoppen! Wir haben also ein therapeutisches Fenster, dass offen ist, bevor die Plaquebildung beginnt.“ Das ist besonders aussichtsreich, da jüngst die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) den Einsatz von "Leqembi" (Lecanemab) auch in Europa zugelassen hat.

Das große Ziel von betaSENSE: eine Frühzeitdiagnose für alle. Wer älter als 54 Jahre ist, kann zu seinem Hausarzt oder Neurologen gehen, der nimmt Blut ab, lässt das im klinischen Labor überprüfen, erklärt dem Betroffenen seinen Status und bespricht mit dem Patienten, ob man eine Therapie einleiten oder nichts machen muss.

Für betaSENSE könnte sich das zu einem potenziellen Blockbustergeschäft auswachsen. Freilich, noch fehlt die nötige IVDR-Zulassung, aber Mitte 2026/27 will das junge Unternehmen auf dem Markt sein. Übrigens: eine gesunde Lebensweise, etliche Studien weisen das wissenschaftlich nach, ist auch im Hinblick auf neurodegenerative Erkrankungen extrem wichtig.

Die Autoren

Uwe Rempe, Mitglied des Redaktionsteams, hat diesen Artikel zusammen mit Prof. Dr. Klaus Gerwert und Dr. Gerd Kock von betaSENSE verfasst. Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit.