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Mit dem Minilabor auf der Überholspur

5 min Uwe Rempe

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anvajo erhalten den IQ Innovationspreis und wurden im Cluster Life Science mit dem 1. Platz ausgezeichnet. Bild: Anvajo GmbH

Warum Vielseitigkeit auch auf dem Laborgeräte-Markt von Vorteil ist

Es ist klein, handlich, intuitiv bedienbar und natürlich im Labor genauso zuverlässig wie bei der Nutzung auf freiem Feld: ein Miniaturlaboratorium namens fluidlab, gleichzeitig Zellzähler und Spektrometer, hergestellt vom Technologieunternehmen anvajo GmbH aus Dresden. Der LSR-Blog hat mit David Heinz gesprochen, Head of Business Unit Biotech bei anvajo.

Mittlerweile hat Ihr Unternehmen schon eine vierstellige Anzahl des Geräts verkauft. Was macht es so besonders?

Wir sehen im Labor und in der Diagnostik seit einiger Zeit zwei große Trends: Zum einen muss das Laborpersonal ein immer breiteres Arbeitsspektrum abdecken. Dazu gehört die eigentliche Laborarbeit, darüber hinaus aber auch die Auswertung von Daten, die Bewertung der Ergebnisse, die Dokumentation aller Prozesse die Erstellung von Publikationen und die Akquise von Fördergeldern. Damit bleibt immer weniger Zeit für die eigentliche Laborarbeit. Das hat zur Folge, dass sich die Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer an Laborgeräte ändern. Sie müssen leicht bedienbar sein, neue Mitarbeiter sollen sie schnell verstehen und bedienen können. Im besten Fall ist noch eine Verbesserung des Workflows gewünscht, also die Eliminierung einzelner Arbeitsschritte – alles unter der Maßgabe, die Laborbeschäftigten zu entlasten.

Der zweite Trend kommt aus der Entwicklung der Personalisierten Medizin. Von der Forschung über die Diagnostik bis hin zur pharmazeutischen Produktion personalisierter Therapieprodukte werden diese auf einzelne Patienten zugeschnitten. Das bedeutet in der Folge aber auch, dass kleinste Veränderungen im Probenmaterial große Auswirkungen auf die Therapie bzw. Diagnosen haben können. Aktuell ist es noch so, dass für bestimmte Zellanalysen wie beispielsweise die Viabilitätsbestimmung viele Laborgeräte die Nutzung von Färbemitteln oder anderen Markern erfordern. Patienten können allerdings Unterschiede in ihren genetischen und zellphysiologischen Profilen sowie individuelle Muster der Biomarker-Expression oder der Mutationsprofile aufweisen. Um etwaige Änderungen durch Färbemittel oder Reagenzien zu vermeiden, sollte daher die Ursprungsform der Probe so weit wie möglich erhalten bleiben. Einige der verwendeten Reagenzien und Marker können zudem unterschiedliche Toxizitätsprofile bei verschiedenen Patienten aufweisen.

Insofern sind Sie im Vorteil, weil das Gerät ohne Zellfärbemittel auskommt?

Genau. Insbesondere bei der Bestimmung der Zellviabilität werden häufig Färbemittel wie Trypanblau oder Fluoreszensmarker genutzt, obwohl schon seit Jahren bekannt ist, dass erstere potenziell zelltoxisch wirken. Im Hinblick auf die personalisierte Medizin kann das problematisch sein, weil die Ergebnisse der Zellanalyse verfälscht werden können, was wiederum einen Einfluss auf die Effektivität und Effizienz der therapeutischen Dosis haben kann. Insofern hat unser Gerät einen Vorteil, weil es nicht nur kompakt ist und ortsunabhängig eingesetzt werden kann, sondern Zellanalysen färbungsfrei durchführen kann.

Wir nutzen für die Mikroskopie einen Ansatz, der sich digitale holographische Mikroskopie nennt. Wir haben also keine Linsen wie im klassischen Helllichtmikroskop, sondern nur eine Lichtquelle, eine Apertur für die Fixierung des Probenträgers und Leitung des Lichtstrahls und einen Sensor.  Damit erstellen wir, basierend auf dem Brechungsindex der Probe, ein Bild. Der Brechungsindex einer biologischen Probe bestimmt die Art und Weise, wie diese mit Licht interagiert. Er enthält Informationen über den Unterschied der optischen Dichte an Grenzflächen wie verschiedenen Membranen oder proteinreichen Bereichen. Das ist der Grund, warum ein holografisches Bild einen höheren Informationsgehalt als ein Hellfeldbild mit vergleichbarer Auflösung aufweist. Allerdings ist diese Information für das menschliche Auge nicht immer leicht zu interpretieren. Deshalb nutzt das fluidlab Convolutional Neural Networks (CNNs) zur färbungsfreien Klassifizierung zellulärer Zustände wie Zelltod. Das ist eigentlich das Besondere des Instruments, in dem außerdem komplementär ein Spektrometer verbaut ist, das gerade für die indirekte Quantifizierung sehr kleiner Zellen geeignet ist.

Wie ist die Idee zum Gerät eigentlich entstanden?

Unser Gründer Stefan Fraedrich, der noch heute im Unternehmen als CTO arbeitet, entschied sich schon früh dazu, seinen Beitrag zum globalen Gesundheitswesen über die Entwicklung und Produktion von Point-of-Care Diagnostiklösungen zu leisten, die möglichst überall dezentral einsetzbar sind. Mit dieser „Mission Diagnostik“ im Kopf hat sich anvajo 2016 als Spin-Off aus der TU Dresden ausgegründet. Im Wissen, dass es bis zum ersten kommerzialisierten Diagnostikprodukt– denken Sie nur an die klinischen Studien und Regulatorik – noch ein paar Jahre dauern kann.

In diesem Wissen entstand eine weitere Idee: Warum bringen wir unser Produkt zunächst nicht einfach in weniger regulierte Bereiche? Deshalb haben wir 2019 ein erstes Gerät auf den Markt gebracht, dass bis heute in der Veterinärmedizin zur Urinanalytik eingesetzt wird. Ein gutes halbes Jahr später folgte bereits die zweite Gerätegeneration, die vor allem in der akademischen Forschung, aber auch in den Forschungsabteilungen von Biotech- und Pharmaunternehmen einsetzbar ist.  

Können Sie uns eine Zahl nennen, wie viele Geräte bislang verkauft wurden?

Aktuell befinden wir uns im vierstelligen Bereich. Mit dem Launch hatten wir durch den gleichzeitigen Ausbruch der Corona Pandemie anfangs Startschwierigkeiten. Inzwischen läuft es aber erfolgreich und wir haben das Gerät auch in den US-Markt eingebracht. 2023 werden noch China und Indien folgen. Darüber hinaus sind wir kurz davor unser erstes Gerät für den Einsatz in der Humandiagnostik auf den Markt zu bringen. Insofern erwarten wir ein weiteres und starkes Wachstum.

Wie funktioniert das Lab?

Zusätzlich zum Gerät selbst vertreiben wir auch einen passenden Probenträger. Einfach Probe drauf, ins Gerät einstecken und die Messung starten: erst wird ein Bild aufgenommen und anschließend innerhalb von 15 bis 20 Sekunden durch unsere Algorithmen ausgewertet. Durch den Brechungsindex der Zellen wird erkennbar, ob Zellen lebendig oder tot sind, so lässt sich die Viabilität bestimmen.

In welchen Bereichen wird das Gerät derzeit angewendet?

Die Anwendungsbereiche sind breit gefächert, wir wissen vom Einsatz in der Krebsforschung, beim Testen von Wirkstoff-Kandidaten oder bei der Entwicklung synthetischer Enzyme. Sehr interessant ist auch der Einsatz bei der Forschung an den Ursachen von Herzinfarkten: Dabei werden beispielsweise in der Zellkultur simulativ einzelne Gene herunterreguliert und man schaut, welchen Einfluss das auf die Viabilität der Herzmuskelzellen hat. Aktuell arbeiten wir an der Entwicklung einer zweiten Gerätegeneration, mit der wir weitere färbungsfreie Zellanalysen in bestimmten Diagnostik- und Therapiebereichen wie CAR-T Zelltherapien und AAV-Gentherapien ermöglichen wollen.

Mittlerweile haben Sie ja auch schon einige Auszeichnungen erhalten…

Ja, darauf sind wir auch sehr stolz. Mit unserem fluidlab und der darauf basierenden Diagnostikroadmap konnten wir die Jury des IQ Innovationspreis Mitteldeutschland überzeugen, so dass wir im Cluster Life Science mit dem 1. Platz ausgezeichnet wurden. Zudem belegten wir beim Sächsischen Innovationspreis von futureSax den zweiten Rang.