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Was eigentlich ist Personalisierte Medizin?

5 min Uwe Rempe

Ein neuer und sich rasch entwickelnder Zweig der Medizin kann auch die LSR- und Diagnostica-Industrie beflügeln

Die Personalisierte Medizin ist seit einigen Jahren bei den Experten in aller Munde. Das Versprechen: Jeder einzelne Patient kann mit seinem Leiden entsprechend seiner persönlichen Krankengeschichte und individuellen Voraussetzungen behandelt werden. Das Geheimnis: gezielte Prävention, systematische Diagnostik und der Einsatz von für jedes Individuum maßgeschneiderten Therapien und Wirkstoffen. 

Erfolge und Potenziale 

In einem Interview mit dem Portal für Digitalisierungsthemen, meinungsbarometer.info, erklärte im Herbst 2022 etwa die Professorin Dr. Veronika von Messling, Leiterin der Abteilung Lebenswissenschaften im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): „Erfolge der personalisierten Medizin sind in den letzten Jahren insbesondere bei der Behandlung von Krebserkrankungen deutlich geworden.“ Aber auch andere Krankheiten hätten erhebliches Potenzial für personalisierte Behandlungsansätze.  

Professorin von Messling führte weiter aus: „Beispielsweise bei psychischen Erkrankungen, denen häufig komplexe, individuelle Erfahrungen und Erlebnisse zugrunde liegen, sind ebenso individuelle Therapieansätze gefragt. Auch die verbesserte Diagnostik von Hepatitis E-Infektionen oder die Sepsis-Prävention bei Frühgeborenen sind Themen mit viel Potenzial für eine erfolgreiche individuelle Behandlung. Die sehr unterschiedlichen Verläufe der COVID-19-Erkrankung legen ebenfalls nahe, auch hier nach personalisierten Therapieansätzen zu suchen.“ 

Doppelter Nutzen 

Sind Diagnostik und Medikation auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten, steigt der Nutzen einer Arzneimitteltherapie und zeitgleich sinkt das Risiko durch beispielsweise geringere Nebenwirkungen. VDGH-Geschäftsführer Dr. Martin Walger betonte, ebenfalls im Herbst 2022: „Der Schlüssel zur Personalisierten Medizin liegt in der gezielten Diagnostik.“ 

Und moderne Diagnostik nutzt gleich doppelt: Zunächst ermöglicht sie, dass Ärztinnen und Ärzte durch Biomarker ein konkretes Ergebnis erhalten, da allein Symptome bzw. ihre Beschreibung oft keine eindeutigen Rückschlüsse ermöglichen. Darüber hinaus werden Patientinnen und Patienten mit all ihren genetischen und zellulären Besonderheiten besser verstanden. Walger hebt hervor, dass so das richtige Medikament in der richtigen Dosis bei der richtigen Person eingesetzt werden kann. 

Wissen, welches Arzneimittel wirkt 

Die Personalisierte Medizin wird heutzutage vor allem in der Onkologie mit therapiebegleitenden Diagnostika angewandt. Diese sogenannten Companion Diagnostics sind die Grundlage für die Therapie mit einem ganz bestimmten Arzneimittel. Aktuell ist bei 103 Wirkstoffen eine Testung vor dem Medikamenteneinsatz vorgeschrieben oder empfohlen (Stand Mai 2023, vfa).  

Die Diagnostik in der Personalisierten Medizin geht aber über diese Companion Diagnostics hinaus: Manche Therapien erstrecken sich über einen langen Zeitraum, in dem regelmäßig die Dosis angepasst werden muss. Diagnostika liefern die nötigen Informationen. Auch angeborene Erkrankungen, die sich von Generation zu Generation weitervererben, können durch die Untersuchung von bekannten Hochrisikogenen analysiert werden. So wie bei manchen Brustkrebserkrankungen: Frauen, die die riskante Genvariante tragen, können frühzeitig gesundheitliche Entscheidungen treffen.  

Der Blick nach vorne: Wie Zell- und Gentherapien Patienten helfen können  

Zell- und Gentherapien (GCT) sind ein bedeutendes Feld für die personalisierte Medizin. „Es gibt zahlreiche Wege der Anwendung, auch in Verbindung mit dem Einsatz neuartiger Materialien“, betont Dr. Peter Quick, der langjährige, mittlerweile pensionierte, ehemalige Geschäftsführer der Promega GmbH, dem weltweit tätigen Life-Science-Research-Unternehmen aus Walldorf (Baden-Württemberg).  

Sie reichten etwa vom Ab- oder Abschalten von Genfunktionen durch genau bestimmte, kurze Nukleinsäure-Ketten oder der Impfung mit Boten-RNA über Anwendungen außerhalb oder innerhalb des Körpers mit viralen oder nicht-viralen/synthetischen Genfähren mit therapeutischen Nukleinsäuren, Einsatz von Zellprodukten oder Zellersatz bis hin zur Gewebetechnik. 

„GCT greifen möglichst nicht symptomatisch, sondern grundlegend in Krankheitsprozesse ein – oftmals haben sie regeneratives Potenzial, können auch schwerwiegende Symptome rückgängig machen und die Entstehung, den Fortschritt und die Komplikationen von Krankheiten verhindern“, so Dr. Quick. Das Anwendungspotenzial von Zell- und Gentherapien sei hoch. Es umfasse seltene Erkrankungen, z.B. bedingt durch nur eine Veränderung in einem einzigen Gen, ebenso wie komplexe erworbene Erkrankungen.  

GCT seien bahnbrechend, da sie Perspektiven für bislang nicht therapierbare Erkrankungen, z.B. angeborene Immundefekte, schüfen und auch etablierte Therapien verdrängen könnten. „Alleine in Deutschland könnten Millionen von Patientinnen und Patienten von der Verfügbarkeit neuartiger und sicherer Zell- und Gentherapien profitieren“, unterstreicht Dr. Peter Quick. 

Entwicklungsschub für die Diagnostik-Industrie 

Die Prognosen für eine Ausweitung der Personalisierten Medizin in der klinischen und auch der ambulanten Praxis sind laut dem Portal „Statista“ enorm. Das Marktvolumen personalisierter Medizin belief sich noch im Jahr 2021 auf etwa 5,14 Milliarden US-Dollar. Bis zum Jahr 2030 soll sich nach dieser Quelle der weltweite Umsatz in diesem Markt auf rund 9,23 Milliarden US-Dollar erhöhen. Dies entspräche einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von rund 6,95 Prozent. 

Es ist leicht vorstellbar, dass die Ausweitung der Personalisierten Medizin auch einen Innovationsschub bei der Entwicklung und Modernisierung von LSR- und Diagnostikmethoden, -verfahren und -geräten auslöst, der wiederum Arbeitsplätze in Wissenschaft und Forschung als auch Jobs in der Produktion und im Vertrieb der Industrie sichern bzw. sogar vermehren kann. 

 

Quellen:  

 

Der Autor

Uwe Rempe ist freier Journalist und ist Teil des Redaktionsteams.