Deutschland steht wie alle anderen Marktteilnehmer im internationalen Wettbewerb. Das gilt auch für die Life-Science-Branche. Für den deutschen Standort spricht nach der Analyse des Verbands der Diagnostica-Industrie e.V. (VDGH) und der Fachabteilung „Life Science Research“ (LSR) im VDGH aktuell insbesondere die starke Grundlagenforschung sowie die hohen Standards und der Qualitätsanspruch. Innovationshemmend wirken hingegen die hohe Regulierungsdichte und bürokratische Hürden. Das mindert die Attraktivität des deutschen Standorts im internationalen Vergleich.
Für die Entwicklung neuer Produkte – von der Innovation bis zur Marktreife – und den Aufbau nachhaltiger lokaler Produktion bedarf es politischer Entscheidungen sowie großer Flexibilität und Durchlässigkeit zwischen den Teilmärkten und Institutionen.
Investieren in Europa
Der Koalitionsvertrag 2021 – 2025 lässt erkennen, dass Maßnahmen geplant sind, um „die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland bzw. generell in die EU zurückzuverlagern“. Das beinhalte zudem den Abbau von Bürokratie, „die Prüfung von Investitionsbezuschussungen für Produktionsstätten sowie die Prüfung von Zuschüssen zur Gewährung der Versorgungssicherheit“.
Dieser Ansatz sollte auch für den Bereich der Lebenswissenschaften umgesetzt werden. Innovative LSR-Technologien müssen in Deutschland und Europa gehalten bzw. ausgebaut werden, analog zur High-Medizintechnik „Made in Germany“.
Technologiebeispiel mit großem Potenzial: Zell- und Gentherapie
In diesem Zusammenhang begrüßt der VDGH alle Initiativen zur Entwicklung einer nationalen Strategie für gen- und zellbasierte Therapien (GCT). „Gen- und zellbasierte Therapien haben eine bahnbrechende Perspektive für die Patientenversorgung, da sie das Behandlungspotential für viele Erkrankungen maßgeblich erweitern oder sogar erstmals eröffnen.“ Der VDGH verstehe GCT als ein „Jahrhundertprojekt“ der Medizin und der biomedizinischen Forschung.
Es sei von zentraler Bedeutung, dass Deutschland hier einen Spitzenplatz einnehme, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Anwendung. „Die Etablierung einer nationalen Strategie ist unerlässlich, um dieses Ziel zu erreichen.“ Der Verband befürworte einen offenen Konsultationsprozess zur Entwicklung einer nationalen Strategie.
Zugleich verstehe man sich als zentraler Stakeholder bei gen- und zellbasierten Therapien und fordere deshalb die Einbeziehung bei der Umsetzung des Strategieprozesses ein.
Die forcierte GCT-Entwicklung eröffne als Bestandteil der regenerativen Medizin Therapiemöglichkeiten für bisher nicht oder nur unzureichend behandelbare schwere Krankheiten. Die stärksten Wettbewerber für Deutschland sind hier aktuell die USA und China, die über die meisten Firmen in diesem Bereich verfügen.
Gemeinsam forschen, entwickeln, produzieren
Eine Bündelung der lebenswissenschaftlichen Aspekte der Forschungs-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik kann zukunftsweisende Forschungsfelder in Deutschland erkennen, fördern und die Entwicklung neuer Produkte unterstützen. Hierzu könnte eine „Initiative Life-Science-Deutschland" beitragen. Diese wäre mit einem ressortübergreifenden Strategieprozess der Bundesministerien zu starten und zu strukturieren. Hierfür existieren ausreichend politische Beispiele und Erfahrungswerte aus dem Bereich Innovationen in der Medizintechnik.
So sollte eine Vernetzung von Schlüsselakteuren aus den Hochschulen, der Biotechnologie- und Pharma-Industrie, aus Behörden und Krankenkassen geschaffen werden, um eine zielgerichtete Forschung zu ermöglichen, die Redundanzen vermeidet. Dies hilft, einerseits wissenschaftliche Expertise für hochinnovative Technologien in Deutschland zu halten und andererseits Arbeitsplätze neu zu schaffen und zu sichern. Darüber hinaus ist ein exzellentes wissenschaftliches Umfeld attraktiv für Ausgründungen und Start-Ups, da sich hier in besonderer Weise Wissen akkumuliert und der naturwissenschaftliche Austausch gefördert wird.
Große Chance für neue Standorte
Aktuell gibt es viele Regionen in Deutschland, die durch die Energiewende umstrukturiert werden müssen. Regionale Wirtschaftsprojekte zur Förderung dieses Strukturwandels können beispielsweise den Grundstein für neue naturwissenschaftliche Standorte legen. Mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten und am 11. April 2022 gegründeten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation ist hierfür eine Grundlage geschaffen.
Bestehende mittelständische LSR-Unternehmen können durch Innovationsbezuschussung für Produktionsstätten in Deutschland gestärkt werden. Dies reduziert durch kürzere Lieferwege den CO2-Fingerabdruck von Produkten und kann so gleichermaßen auch die Lieferkettenproblematik entspannen.
Die Einführung des Fairness-Konzeptes „Level playing field“ kann gewährleisten, dass alle Unternehmen auf dem deutschen Markt unter gleichen und fairen Wettbewerbsbedingungen agieren können. Diese sollten im Rahmen einer wertebasierten Politik, bezogen auf Herkunft, Qualität, Lieferketten und Preisen, bestehen. Gleichzeitig sind Freihandel und Sicherung globaler Lieferketten ein kostbares Gut und müssen bewahrt werden, denn auch die LSR-Industrie ist auf Importe angewiesen.
Forschung braucht Patente
Geistiges Eigentum verdient es, geschützt zu werden. Die LSR-Branche wendet einen beträchtlichen Teil ihres Umsatzes – zwischen zehn und elf Prozent – für die Erforschung und Entwicklung neuer Produkte und Verfahren auf. Ein Erfolg ist nicht garantiert. Viele Forschungsvorhaben führen zu keinem verwertbaren Ergebnis, die Kosten bleiben beim Hersteller. Daher bietet ein angemessener Patentschutz den entscheidenden Anreiz für Forschungsaktivitäten der Unternehmen.
Die Nachbildung innovativer Produkte und Prozesse durch Wettbewerber ist relativ kostengünstig. Das Risiko von derivativen Produkten auf dem Markt wird durch einen Patentschutz zusätzlich vermindert. Eine Aufhebung des Patentschutzes würde nicht zusichern, dass mehr Drittanbieter die Produkte zu gleicher Qualität auf den Markt bringen, was die Versorgungsdichte mit qualitativ hochwertigen Produkten nicht erhöht. Vielmehr versprechen Kooperationen den gewünschten Erfolg der breiten Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Produkte.