LebenForschung

Emilys zweite wissenschaftliche Mission

6 min Emily Locke

Emily Locke und Juliane Hastedt betrachten eine eingefärbte 12-Well-Platte.
Einblick in meinen Laboralltag mit Juliane Hastedt, medizinische Doktorandin am NCT (rechts im Bild). Bild: Emily Locke (links im Bild).

Wie ich als studentische Biomol-Mitarbeiterin mein dreimonatiges Forschungspraktikum in Heidelberg erlebte und dabei meine Begeisterung für die translationale Tumorforschung entdeckte.

Hallo – hier ist wieder Emily. Ihr kennt mich schon von meinem ersten Blogbeitrag, als ich von meinem Forschungsaufenthalt in Norwegen berichtete.

Jetzt war ich wieder in wissenschaftlicher Mission unterwegs – und zwar in Heidelberg bei einem der führenden Experten für onkolytische Viren. Prof. Dr. Dr. Guy Ungerechts leitet dort die Klinische Kooperationseinheit (KKE) Virotherapie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT). Ich hatte die besondere Gelegenheit, mein dreimonatiges Praktikum in seiner Abteilung zu absolvieren und dabei genaue Einblicke in das translationale Forschungsfeld der Virotherapie zu gewinnen.

Virotherapie? Noch nie davon gehört…

Viren genießen in der Öffentlichkeit oft keinen guten Ruf, spätestens seit der COVID-19-Pandemie. Sie sind bekannt als Auslöser von Infektionskrankheiten und einige, wie die Humanen Papillomaviren, können sogar Krebs verursachen. Doch Viren besitzen auch eine andere Seite: Sie haben großes Potenzial für innovative medizinische Therapien. Bereits seit längerem werden Viren in der Gentherapie genutzt, um schädliche Mutationen zu korrigieren, und abgeschwächte Viren dienen als Impfstoffe, die das Immunsystem trainieren und schützen.

Dass bestimmte Viren es darüber hinaus ermöglichen, spezifisch Tumorzellen zu attackieren, war mir lange nicht bewusst. Während meines Studiums der Molekularen Biotechnologie bin ich dem Begriff „onkolytische Virotherapie“ nie begegnet – was wohl daran liegen mag, dass es sich (noch) um ein Nischenthema handelt. Doch da mich Viren und ihre Anwendung in neuartigen Therapien schon immer fasziniert haben, entschied ich mich für ein Forschungspraktikum in diesem Bereich. Schließlich fand ich meinen Platz in der Arbeitsgruppe „Applied ViroTherapeutics“ innerhalb der KKE Virotherapie, die unter der Leitung von Dr. Dr. Mathias Leber steht. Die Gruppe konzentriert sich auf die Entwicklung eines auf dem Masernimpfstamm basierenden effektiven Virotherapeutikums. Im Mittelpunkt stehen dabei die gentechnische Modifikation der Virusgenome und die Erforschung von Kombinationstherapien.

Die Idee, Viren gegen Krebs einzusetzen, geht auf frühe klinische Fallberichte aus dem 20. Jahrhundert zurück, bei denen eine Virusinfektion zu einem Rückgang der Tumorerkrankung führte. Forscher erkannten, dass bestimmte Viren bevorzugt Krebszellen befallen, da diese Zellen keine ausreichenden Abwehrmechanismen besitzen. Dies legte den Grundstein für die onkolytische Virotherapie.

Wie onkolytische Viren Tumoren bekämpfen

Onkolytische Viren werden so modifiziert, dass sie gezielt bösartige Zellen befallen und zerstören. Dieser Prozess, auch Onkolyse genannt, ist einer der Hauptmechanismen dieser Therapie. Zusätzlich lösen die Viren eine Anti-Tumor-Immunantwort aus, indem sie Tumorantigene freisetzen und ein immunogenes Mikromilieu schaffen. Diese Effekte machen die onkolytischen Viren zu einer Form der Krebsimmuntherapie.

Die Forschung konzentriert sich darauf, die Effizienz dieser Viren durch molekularbiologische Modifikationen zu verbessern. Hierzu gehören die Identifikation neuer Virusstämme, die Modifikation von Viruskapsiden und die Entwicklung sogenannter „bewaffneter“ Viren, die zusätzliche therapeutische Gene enthalten. Ebenso werden Kombinationstherapien mit Immun-, Chemo-, Radio- und zielgerichteten Therapien untersucht. Ein zentraler Ansatz ist dabei die gezielte Ausrichtung der Viren auf Krebszellen, entweder durch Anpassungen am Virusproteinkapsid oder durch genetische Veränderungen, die eine Replikation nur in Krebszellen ermöglichen.

Beata Halassys mutiger Selbstversuch

2020 war für Beata Halassy ein entscheidendes Jahr. Nachdem ihr „triple negative“ Brustkrebs – eine besonders aggressive und schwer zu behandelnde Form – zum zweiten Mal zurückgekehrt war, entschloss sie sich, einen mutigen Schritt zu wagen. Nach zwei Operationen und einer harten Chemotherapie wollte sie nicht erneut die Strapazen der konventionellen Behandlung durchleben. Als erfahrene Molekularbiologin am Kompetenzzentrum für Virusimmunologie und Impfstoffe an der Universität Zagreb entschied sie sich, ihren Brustkrebs mit onkolytischen Viren aus ihrem eigenen Labor zu bekämpfen. Dieser mutige Selbstversuch war erfolgreich: Halassy ist fünf Jahre später immer noch tumorfrei.

Der selbst durchgeführte Behandlungsversuch von Halassy hat eine lebhafte Diskussion in der Fachwelt über die ethischen Implikationen solcher Selbstversuche in der Medizin angestoßen. Doch ihr Erfolg verdeutlicht das enorme Potenzial, das in der Forschung mit onkolytischen Viren steckt. Diese Viren könnten in Zukunft eine wesentliche Rolle in der Krebsbehandlung spielen.

Zurück zu meinem Praktikum und Forschungsprojekt in Heidelberg

Während meines Praktikums am NCT in Heidelberg konnte ich die faszinierende Arbeit der Entwicklung onkolytischer Masernviren (oMeV) zur Behandlung solider Tumoren kennenlernen. Beim Begriff „Masern“ denken die meisten wahrscheinlich erst mal an die hochansteckende, fieberhafte Erkrankung, die vor allem Kinder betrifft. Doch Masernviren haben überraschenderweise auch ein enormes Potenzial in der Krebstherapie. Das Masernvirus zeigt eine natürliche Präferenz für die Infektion von Krebszellen, was es zu einem vielversprechenden Kandidaten für die onkolytische Virotherapie macht.

Im Rahmen meines Praktikums hatte ich die besondere Gelegenheit, an dem Projekt von Juliane Hastedt, medizinische Doktorandin am NCT, mitzuwirken. Das Ziel dieses Projekts ist es, einen oMeV-basierten therapeutischen Krebsimpfstoffs für die Behandlung solider Tumoren zu entwickeln.

Herausforderungen in der Entwicklung therapeutischer Krebsimpfstoffe

Obwohl die Idee, Krebsimpfstoffe zu entwickeln, seit Jahrzehnten besteht, waren die bisherigen Ergebnisse oft enttäuschend. Eine zentrale Herausforderung ist die geringe Immunogenität vieler früherer Impfstoffkandidaten aufgrund der immunsuppressiven Umgebung, die Tumore schaffen. Das Projekt, an dem ich mitarbeitete, verfolgt die Hypothese, dass onkolytische Masernviren diese Immunsuppression überwinden und somit eine deutlich stärkere Immunantwort hervorrufen könnten. So lässt sich der natürliche Mechanismus der T-Zell-gestützten Immunantwort nutzen, denn die oMeV-vermittelte Onkolyse kann Tumorantigene freisetzen, die von T-Zellen erkannt werden.

Während meines Praktikums konzentrierte ich mich auf die Untersuchung und Charakterisierung der Toxizität und Immunogenität unserer entwickelten Viren. Unser Masernvirus kodiert für das enhanced green fluorescent protein (eGFP), was uns ermöglicht, die Infektion von Tumorzellen unter dem Fluoreszenzmikroskop zu verfolgen. Besonders bemerkenswert war die Bildung von Synzytien – riesigen mehrkernigen Zelleinheiten, die entstehen, wenn infizierte Zellen mit einer benachbarten Zelle verschmelzen. Diese Fusion wird durch das Zusammenspiel der viralen H- und F-Glykoproteine mit zellulären Rezeptoren vermittelt und ermöglicht dem Virus eine effiziente Ausbreitung zwischen Zellen, ohne die extrazelluläre Umgebung zu durchqueren.

Translationale Forschung: Von der Theorie zur Praxis

Die enge Verknüpfung von Laborarbeit und klinischer Anwendung hat mich während meines Praktikums besonders fasziniert. Die Projekte der KKE Virotherapie sind stark translational ausgerichtet. Viele der onkolytischen Viren, die am NCT untersucht werden, stehen kurz davor, in klinischen Studien getestet zu werden. Dies zeigt die erfolgreiche Übersetzung von innovativer Forschung aus dem Labor in die klinische Anwendung.

Das Ziel der KKE Virotherapie ist es, effektive onkolytische Immuntherapien zu entwickeln und in die klinische Anwendung zu bringen. Bisher wurden lediglich wenige onkolytische Viren zugelassen – wie Imlygic® (Talimogen Laherparepvec) 2015 für die Behandlung des fortgeschrittenen malignen Melanoms und 2021 Delytact® (Teserpaturev) in Japan zur Therapie des malignen Glioms. Jedoch gibt es große Hoffnungen, dass bald weitere onkolytische Viren folgen werden. Am NCT wurden bis Ende 2023 bereits zwölf klinische Studien mit verschiedenen onkolytischen Viren durchgeführt.

Zukunftsaussichten

Die onkolytische Virotherapie könnte schon bald einen festen Platz im Behandlungsrepertoire gegen Krebs haben. Die Fortschritte der Forschung und die positiven Ergebnisse aus klinischen Studien geben Anlass zur Hoffnung. Vielleicht wird sogar eines der onkolytischen Masernviren, an denen ich mitgearbeitet habe, in der Zukunft als effektive Therapie zugelassen. Diese Entwicklungen könnten den Durchbruch im Kampf gegen Krebs bedeuten und vielen Betroffenen neue Hoffnung schenken.

Die Autorin

Emily Locke ist studentische Mitarbeiterin beim LSR-Mitgliedsunternehmen Biomol GmbH.

Interessierte Personen, die noch mehr zur Virotherapie und der Funktion von Krebsimpfstoffen erfahren wollen, können sich die Infografiken im Originalartikel auf der Biomol-Webseite anschauen. Dort werden die Funktion der onkolytischen Viren sowie die Mechanismen zur Virotherapie anschaulich illustriert und tiefgreifender erklärt.